Radreise zur Ostsee
11 Tage unterwegs längs durch Deutschland nach Norden
Schwitzend glücklich vom Süden bis zur See
Zwei Sattel, vier Beine, viele Geschichten
Zusammenfassung einiger Highlights
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Tag 1 – Vom Bayerwald ins Naabtal: Höhenmeter und am Ende ein Stadtfest zur Belohnung
Schellnbach → Weiden i.d.OPf.
Datum: Samstag, 28.06.2025
Distanz: 117 km | Höhenmeter: 1.400 hm
Der erste Tag unserer Radreise begann mit dem typischen Gefühl zwischen Vorfreude und leichten Zweifeln: Um 7 Uhr morgens rollten wir aus Schellnbach, der Nebel lag über unserer Gegend, und der Bayerische Wald begrüßte uns… mit einem satten 200-Höhenmeter-Anstieg nach Haselbach. Na, danke, aber wir wussten ja von vielen Fahrten in diese Richtung, was die ersten 15 km auf uns zukommt.
Ein kurzer Halt bei der Kirche in Herrnfehlburg – Fotostopp, durchatmen, schauen – dann ging’s rasant abwärts nach Stallwang. Doch wer dachte, der schlimmste Anstieg sei schon geschafft, wurde hier eines Besseren belehrt: der Kirchberg forderte mit steiler Konsequenz unsere Oberschenkel. Und dann, noch ein Stück weiter oben, das Dach der heutigen Etappe: Sattelbogen. Ein kleines, fast vergessenes Dorf, hoch oben, irgendwo zwischen Wiesen und Wald – so still, dass man sich selbst den Berg hochschnaufen hört..
Die Belohnung kam in Form einer grandiosen Abfahrt Richtung Neuhaus. Und dort, überm dichten Grün, thronte sie: die Burgruine Neuhaus. Halb überwuchert, halb wachend, wie ein stummer Wächter über dem Tal. Der Nebel des Morgens hing noch leicht in den Bäumen, als wollte er Geschichten vergangener Jahrhunderte verbergen. Man konnte fast spüren, wie hier einst Ritter durch die Höfe ritten – oder wie sich Sagen von Geistern in den alten Mauern verfangen haben. Ein magischer Moment.
Nach diesem Ausflug ins Mittelalter führte der Weg über Schorndorf hinab nach Roding, dem tiefsten Punkt unserer Etappe am Ufer des Flusses Regen. Roding – schon im 9. Jahrhundert erwähnt – gilt als eine der ältesten Siedlungen im Regental. Heute ist es ein modernes Mittelzentrum mit handfestem Charme. Für uns war’s vor allem ein Ort zum Luft holen… und zum Improvisieren: Beim Einstellen meines Rückspiegels brach ich ihn glatt ab. Erste Materialschlacht. Diagnose: Schaden durch Übereifer. Therapie: Panzertape. Funktioniert – optisch fragwürdig, funktional top.
Weiter ging’s bergauf zum Kloster Strahlfeld, das mit seiner ruhigen Lage ein würdiger Rastpunkt war – aber wir mussten ja zeitig weiter. Noch ein paar Anstiege später erreichten wir die Höhen oberhalb des Eixendorfer Stausees, wo endlich wieder die Schwerkraft das Kommando übernahm. Der lange Abfahrtsrausch hinunter nach Neunburg vorm Wald war einfach herrlich.
Neunburg, historisch einst Residenzort der Pfalzgrafen, empfing uns mit seinem mittelalterlichen Flair und charmanten Altstadtgassen. Spätestens hier fühlte man sich wirklich „unterwegs“.
Von dort folgten wir dem idyllischen Tal der Schwarzach entlang des sogenannten Bayerisch-Böhmischen Freundschaftswegs – ein Name wie aus einem Wanderkatalog der 80er, aber landschaftlich wirklich schön. Leider mit Gegenwind, aber ja: Wer absteigen will, soll wandern. Wir kämpften uns weiter Richtung Schwarzach bei Nabburg und über einen letzten Höhenrücken hinab ins sanft gewundene Naabtal.
Ab da war es wie Radeln auf Schienen: Pfreimd, Wernberg-Köblitz, Luhe-Wildenau – alles Orte, die man sonst nur von Autobahn-Verkehrshinweisen kennt. Jetzt waren sie Teil unserer Tour. Die Sonne war inzwischen schräg am Horizont, die Beine schwer – aber das Ziel nah: Weiden in der Oberpfalz.
Und siehe da – wie durch Zauberhand: Stadtfest!
Weiden, bekannt für Porzellan und als mittelalterlicher Handelsplatz, überraschte uns mit einem vollen Stadtplatz.
Der Stadtplatz selbst ist ein echtes Juwel: gesäumt von pastellfarbenen Bürgerhäusern mit ihren charakteristischen Giebeln, kopfsteingepflastert und von einer leichten Hanglage geprägt. In der Mitte ragt stolz der alte Marktplatzbrunnen, flankiert vom Rathaus mit seinem markanten Turm – ein Bild wie aus einem Reiseführer. Zwischen Buden, Bühnen und Bierbänken herrschte ein munteres Treiben. Live-Musik und beste Stimmung. Weiterfahren? Niemals.
Ein Aperol für Isabella, ein Weißbier für mich, dann checkten wir im Hotel Bräuwirt ein. Zum Abendessen ging’s zum Fest – am Stadtplatz beim Ratskeller wartete ein zart-knuspriges Schäufele auf mich. Besser kann man den Tag nicht beenden.
Als Sahnehäubchen gesellte sich noch ein ehemaliger Stadtbediensteter mit seiner Frau zu uns, der uns voller Begeisterung von den frei zugänglichen Karten mit Freizeitinfos im Weidener Rathaus erzählte – ein echtes Original mit Herz für Heimatkunde. Ein krönender Abschluss eines fordernden, aber unvergesslichen ersten Tages.
Unterkunft: Bräuwirt




Tag 2 – Von Weihern, Wäldern und Bergen
Weiden → Hof
Datum: Sonntag, 29.06.2025
Distanz: 94 km | Höhenmeter: ordentliche 1340 hm, gefühlt doppelt so viel
Der Sonntag begann… etwas träge. Frühstück erst ab 8 Uhr – das war für einen Radreisetag beinahe Ausschlafen. So rollten wir erst gegen 9 Uhr vom Hofbräu in Weiden los, die Sonne war da schon spürbar wach. Zunächst ging’s noch ganz entspannt 8 km flach dahin bis Neustadt an der Waldnaab.
Neustadt/WN, oft übersehen, aber mit hübschem Altstadtkern, liegt eingebettet zwischen Fluss und Wald. Die Stadt war im Mittelalter ein wichtiger Umschlagplatz für Glaswaren – heute eher ruhig, charmant und von viel Natur umgeben. Dort hieß es: links abbiegen – und bergauf.
Danach wurde es richtig ruhig: Null Verkehr, dafür steiler Anstieg nach Mühlberg. Umgeben von stillen Wäldern und den typischen Oberpfälzer Weihern, tauchten wir in eine fast meditative Strecke ein – leichtes Auf und Ab durch Forst, begleitet von Vogelgezwitscher und dem Geruch nach frischem Harz. Die Gegend nördlich von Weiden ist bekannt für ihre Teichwirtschaft, einer der ältesten in Bayern – hier hat der Karpfen quasi Heimatrecht.
In Wiesau wurden wir von einem ungeplanten Programmpunkt überrascht: Fahrer eines Mountainbike-Rennens kamen uns immer wieder entgegen, oder querten oder fuhren ein Stück die gleiche Strecke. Und obwohl sie ohne Gepäck fuhren – so viel schneller waren die auch nicht. Echte Profis eben.
Dann kam er – der Steinwald. Ein oft unterschätzter, wunderschöner Naturpark, der sich wie eine kleine Gebirgsinsel zwischen Oberpfälzer und Fichtelgebirge erhebt. Der Anstieg nach Herzogöd war knackig, die Luft würzig, der Schweiß ehrlich. Oben: ein großes Holzkreuz und der Blick zurück – still, weit und sehr lohnend.
Die Belohnung: eine lange, schattige Abfahrt nach Marktredwitz, einer Stadt im Fichtelgebirge, früher ein Zentrum des Textilhandels. Heute freundlich-altmodisch mit historischem Marktplatz und guter Eisdiele (leider nicht besucht – keine Zeit, es ging ja weiter).
Etwa auf halber Strecke der Abfahrt legten wir eine Bankerl-Pause ein. Und dabei: ein echter Postkartenblick auf den Burgstein (879m), die Kösseine (939 m) und den bekannten Ochsenkopf (1024 m), den höchsten Gipfel des Fichtelgebirges. Fast schon alpin – aber mit Brotzeitstimmung.
Nach Marktredwitz ging’s nochmal über den Hügel nach Wunsiedel. Der Ort, bekannt als Geburtsstadt von Jean Paul und Schauplatz der Luisenburg-Festspiele, wirkte an diesem heißen Sonntag fast geisterhaft leer. Kein Café, keine Seele – nur Kopfsteinpflaster und geschlossene Läden.
Also wieder rauf: zum Zwölfgipfelblick, einem aussichtsreichen Punkt mit Panoramatafeln und klarer Sicht bis tief ins Fichtelgebirge hinein. Danach zum letzten Mal für heute: bergab rollen – diesmal ins Tal der Fränkischen Saale (nicht zu verwechseln mit der „großen“ Saale in Thüringen).
Die letzten Kilometer legten wir auf dem Saaleradweg zurück – ein sanft verlaufender Radweg, von Wiesen flankiert, die Luft warm, der Schatten spärlich.
Dann endlich: Hof.
Im äußersten Nordosten Bayerns gelegen, ist Hof eine Stadt mit Ecken, Kanten – und Herz. Viel Industrie, ein bisschen Plattenbau, aber auch Kultur, Wasser, Parks – und: Achi.
Achi betreibt ein syrisches Restaurant im Zentrum von Hof. Wir genossen dort unser verdientes Weißbier und Aperol, er erzählte uns seine Geschichte: erst angekommen in Straubing oder Deggendorf – also fast bei uns zuhause – dann weiter nach Hof, wo er mit viel Herz und Einsatz sein Lokal aufbaute. Leider, so erzählte er, spüre er zunehmend Fremdenfeindlichkeit – besonders hier, nahe der thüringischen Grenze. Schon irgendwie blöd.
Unser Hotel – das Dormero Hotel Hof – war ein Volltreffer: modern, ruhig, top ausgestattet. Abendessen beim Italiener Il Peperoncini gleich ums Eck – Pasta, Pizza, sehr zu empfehlen.
Den Abschluss bildete ein kurzer Spaziergang durch die Altstadt von Hof – still, aber stimmungsvoll. Fachwerk, Laternenlicht, das Rauschen der Saale. Ein würdiges Ende für einen abwechslungsreichen, manchmal fordernden, aber sehr schönen zweiten Reisetag
Unterkunft: Dormero Hotel Hof




Tag 3 – Zwischen Höhenluft, Elstertal und Elster-Legenden
Hof → Gera
Datum: Montag, 30.06.2025
Distanz: 92 km | Höhenmeter: ca. 1.090hm
Heute war klar: Es wird heiß. Also schlüpften wir früh in die Pedale und verließen Hof schon um 7:30 Uhr. Die Stadt schlief noch, während wir dem EV13 Fernradweg folgten, auch bekannt als Radweg Bayerisches Vogtland bzw. Radweg Sächsisches Mittelgebirge. Namen, die klingen wie aus einem Schulatlas – und schon mal andeuten: flach wird das heute nicht.
Zunächst rollten wir durch das Bayerische Vogtland, eine wellige, landwirtschaftlich geprägte Hochfläche mit Fernblicken, die Lust auf Weite machen. Sanfte Felder, kleine Wälder, ab und zu ein Traktor – dazu klare Luft, die in den Höhenlagen ganz leicht nach frischem Heu roch. Ein Höhepunkt im wörtlichen Sinn: der Ausblick auf die Talsperre Dröda, ein kleiner, idyllischer Stausee im Grünen, der heute eher ein glänzender Fleck in der Ferne blieb. Ab hier gings bergab.
Ab hier hieß es: Flussradweg – juhu! Dachten wir zumindest. Statt glattem Asphalt gab’s steil, geröllig und schieben. Danach über einen Wiesenpfad, auf dem sich das hohe Gras liebevoll in unsere Ketten wickelte, weiter auf einen zugewachsenen Abschnitt mit Dornen und Brennnesseln (Isabellas Erzfeinde, gleich nach Wespen). Schließlich erreichten wir per schmalem Steg endlich wieder den Weg entlang der Weißen Elster.
Und dort wartete eine nette Begegnung: Ein Mountainbiker überholte uns – wir grüßten, er grüßte zurück, blieb stehen.
„Seid’s ihr aus Bayern? Ich hab euren Dialekt erkannt!“
Und dann die Überraschung: Er hatte in Bogen in der Kaserne gedient, kannte also unsere Heimat. Seine damalige Freundin hatte sich bei einem Snowboardunfall in St. Englmar verletzt und wurde ausgerechnet im Krankenhaus in Bogen, also Isabellas Arbeitsplatz, behandelt.
„Seitdem bin ich übrigens Fan der Straubing Tigers!“
Wir ratschten eine Weile – sehr sympathisch, der Mann hatte es offensichtlich nicht eilig zur Arbeit.
Kurz darauf erreichten wir Plauen – geschäftig, großstädtisch, mit schönem Altstadtkern. Einst war Plauen das Herz der Spitzenindustrie Europas, berühmt für seine feine Plauener Spitze, und das sieht man der Stadt noch heute an – historische Fassaden, Jugendstil, Kaufhäuser. Hier verließen wir das Tal kurz, um ein paar der wilden Flusswindungen zu umgehen – der Preis: erneuter Anstieg.
Hinter Elsterberg – einem kleinen, beschaulichen Ort mit alter Burgruine – kamen wir wieder zurück an den Fluss. Und ab hier wurde es wirklich traumhaft: Das Elstertal zeigte sich von seiner schönsten Seite.
Besonders der Abschnitt bis Greiz war ein Naturgedicht: Rechts schroffe Hänge mit stillgelegten Buntsandsteinbrüchen,links die mäandernde Elster, dazwischen ein Waldweg, der sanft dem Flusslauf folgte. In Greiz – mit seinem imposanten Schlossensemble, bestehend aus Oberem und Unterem Schloss – legten wir einen kurzen Fotostopp ein. Die Stadt war einst residenzstädtisches Zentrum des Fürstentums Reuß – heute eher ruhig, aber charmant verwittert.
Zwischen Greiz und Neumühle kam dann einer der magischsten Momente des Tages: Wir legten eine Pause an einem stillgelegten Steinbruch ein – Infotafel, Bank, Blick ins Grüne. Dort lasen wir die Geschichte einer alten Wolfssage: Ein Hirte, der nachts durch das Tal zog, soll hier einem weißen Wolf begegnet sein, der nie wieder gesehen wurde. Ob’s stimmt? Schwer zu sagen. Aber die Stimmung dort war… besonders.
Weiter ging’s – mit einem weiteren Auf und Ab – bis zum Steinbruch am Hüttchenberg, ein beeindruckender Ort, der heute unter Naturschutz steht. Danach hieß es: Kette rechts und rollen lassen – das letzte Stück nach Gera war zum Glück flach.
In einem kleinen Café gab’s – natürlich – ein Aperol für Isabella und ein Weißbier für mich. Danach checkten wir im B&B Hotel Gera ein – funktional, klimatisiert, genau das, was wir brauchten.
Ein kurzer Abendspaziergang führte uns in die Innenstadt – Geras Marktplatz.
Und wie war Gera?
Kurz gesagt: leer. Auf dem Marktplatz war so viel los wie auf einem Montagmorgen im Januar. Unser kulturelles Highlight: der schön verzierte Erker der alten Stadtapotheke – ein Stück Renaissance zwischen Leerstand und Stille.
Zum Abendessen ging’s in ein Steakhaus, wo wir gute Küche und kalte Getränke bekamen. Selbst die Kellnerin schmunzelte, als wir nach sehenswerten Orten fragten:
„Na ja… Gera is’ halt Gera. Hier is meistens tote Hose.“
Und damit war Tag 3 auch abgeschlossen – mit müden Beinen, viel Sonne im Gesicht und einer Portion Geschichten im Gepäck.
Unterkunft: B&B Hotel Gera




Tag 4 – Elster, Ebenen, Entschleunigung: Gera → Halle (Saale)
Datum: Dienstag, 01.07.2025
Distanz: 88 km | Höhenmeter: ca. 420 hm
Nach dem etwas ernüchternden Abend in Gera hatten wir für heute zwei Dinge vor: Kilometer machen – und der Hitze entkommen. Also früh raus und rauf aufs Rad, bevor der Asphalt zu glühen begann.
Zunächst rollten wir ganz entspannt an der Weißen Elster entlang – flach, ruhig, fast meditativ. Die Luft war noch frisch, das Licht weich, der Tacho zählte zufrieden Kilometer auf. Bei Trebnitz verließen wir den Flusslauf – und gleich darauf kam wieder einer dieser berühmten Begegnungen.
Ein Kleinlaster näherte sich. Der Fahrer kurbelte das Fenster runter und rief:
„In 100 Metern is die Brück’n weg – ihr müsst z’rück!“
Blöd, weil Umweg wollten wir heute wirklich nicht fahren, deshalb fuhren wir mal Richtung dieser scheinbar nicht vorhandenen Brücke. Zur Not furten wir haben wir uns gedacht.
Aber diese „Warnung“ erwies sich als halb so wild die Brücke war noch da– für Autos gesperrt, für Radler: freie Fahrt. Also weiter, trockenen Reifens über die angeblich „weggerissene“ Brücke.
Es folgten rund 110 Höhenmeter bergauf auf eine offene Hochebene. Und dann lag sie vor uns: die Windradzone Deutschlands. Weite Felder, flirrende Hitze, goldgelbes Getreide bis zum Horizont – dazwischen Dutzende Windräder, die majestätisch in der Thermik kreisten. Willkommen im Naturpark Unstrut-Triasland, einem weitläufigen Naturraum mit geologischer Vielfalt und idealen Bedingungen für erneuerbare Energie.
20 Kilometer fuhren wir durch diese stille, beinahe surreale Landschaft, bis eine lange, herrliche Abfahrt nach Weißenfels folgte. Die Stadt an der Saale, einst Residenz der Herzöge von Sachsen-Weißenfels, empfing uns mit weiten Straßen, Barockbauten – und schon spürbar steigenden Temperaturen.
Nun ging es bei bereits drückender Hitze weiter entlang der Saale, der wir mehr oder weniger, bis Halle folgten – mit einem kurzen Stopp in Bad Dürrenberg, einem traditionsreichen Solekurort mit riesiger Gradierwerksanlage, ideal für einen Fotostopp an der Saale.
Hinter Dürrenberg lag Leuna, ein Standort, wie er industrieller kaum sein kann. Riesige Chemieanlagen, dampfende Türme, kilometerlange Rohrleitungen – ein Kontrast zur ländlichen Ruhe des Vormittags. Leuna gehört zur traditionsreichen Chemie-Region Mitteldeutschland, mit Wurzeln bis in die 1920er Jahre.
Ein paar km weiter fuhren wir nach Merseburg hinein. Merseburg zählt zu den ältesten Städten Mitteldeutschlands. Bereits im 9. Jahrhundert wurde sie als „Mersiburc civitas“ erwähnt. Besonders bekannt ist sie für die Merseburger Zaubersprüche, zwei althochdeutsche magische Texte aus dem 9./10. Jahrhundert. Diese Sprüche sind nicht nur sprachlich spannend, sondern auch ein Fenster in die vorchristliche Glaubenswelt der Germanen.
Und dann: Halle an der Saale.
Unser heutiges Ziel – und was für eins! Bereits die ersten Straßen zeigten: Altstadtflair mit Charakter. Am großen Marktplatz, umrahmt von prächtigen Bürgerhäusern und überragt vom Roten Turm sowie den Türmen der Marktkirche, empfing uns das Denkmal des wohl berühmtesten Sohnes der Stadt: Georg Friedrich Händel. Direkt dort gönnten wir uns unser tägliches Belohnungsgetränk
Das B&B Hotel war zentral, klimatisiert und sehr praktisch. Nach dem Frischmachen ging’s gleich zur Sightseeing-Runde: Händelhaus, Dom, Große Klausstraße, eine Runde um den historischen Ratshof – Halle hat Geschichte, viel Kunst, Musik, und vor allem eines: Leben.
Zum Abendessen kehrten wir in die Hallesche Spezialitätenbrauerei in der Großen Nikolaistraße ein – urig, regional, mit eigenem Sud. Das Essen war hervorragend, die Biere hausgebraut und süffig. Ideal für eine kleine Lagebesprechung zum nächsten Tag.
Denn der Wetterbericht war eindeutig: über 35 °C, Hitzewarnung.
Ein Blick auf die Karte, und: Freibad bei Bernburg entdeckt!
Also kurzerhand Plan geändert:
„Morgen nur 55 km – und dann ab ins Wasser.“
Hotel in Bernburg schnell reserviert, Entscheidung getroffen. So lässt sich Radreisen aushalten.
Zum Abschluss gönnten wir uns noch einen Absacker in der stylischen LUJAH-Bar, ganz in der Nähe. Ein entspannter Tagesausklang in einer Stadt, die kulturell viel zu bieten hat und angenehm überrascht.
Halle? Gerne wieder!
Unterkunft: B&B Hotel Halle




Tag 5 – Von Händel bis Pommes – eine Saale-Etappe: Halle → Bernburg (Saale)
Datum: Mittwoch, 02.07.2025
Distanz: 58km | Höhenmeter: ca. 250 hm
Früh aufstehen gehört eigentlich nicht zu unseren Lieblingsdisziplinen, aber bei angekündigten 38 Grad zog es uns fast von selber aus dem Bett. Also rollten wir schon um 7:30 Uhr in Halle an der Saale los – vorbei am Händel-Denkmal. Händel selbst wirkte gelassen aus Bronze, vermutlich froh, dass er nicht mit uns aufs Rad musste.
Hinaus ging’s am Saale-Radweg in den Naturpark Unteres Saaletal. Eine Landschaft, die alles in die Waagschale wirft: grüne Flussauen, schroffe Muschelkalkhänge, Auenwälder und alte Burgruinen, die sich auf den Hügeln festkrallen, als wollten sie die Saale seit Jahrhunderten beaufsichtigen. Der Radweg schlängelt sich hier angenehm zwischen wild-romantisch und „oh, da sin ja doch ein paar Höhenmeter“.
Wir kommen nach Wettin. Die alte Burg Wettin, Stammsitz der Wettiner Fürsten, die später halb Europa mit Königen versorgten. Heute wirkt sie eher bescheiden und schaut von ihrem Burgberg auf die Saale hinab – so, als würde sie sagen: „Na, wenigstens einer hier hat Überblick.“
Durch die kleine Stadt Wettin, das Dorf Dobis und vorbei an Rothenburg (nein, nicht das Rothenburg mit den japanischen Touristen, sondern das ruhige mitteldeutsche Pendant) rollten wir weiter. Bald übernahmen wieder riesige Getreidefelder das Kommando – soweit das Auge reicht, golden in der Sonne, nur unterbrochen von einem einsamen Baum, einer krummen Feldscheune oder einem verlorenen Jägerstand der einsam am Hügel stand.
Bei einer großen Autobahnbaustelle trafen wir auf zwei Damen auf E-Bikes aus NRW die etwas Rat zur Strecke brauchten. War da mitten in der Baustelle gar nicht so einfach den Überblick zu behalten. Diese beiden sollten wir noch ein paar Mal treffen.
Am Trebnitzer Berg vorbei erreichten wir schließlich Alsleben. Ein Städtchen, das sich eng an die Saale schmiegt und mit seiner alten Burganlage und dem historischen Hafen fast ein wenig so wirkt, als wäre hier die Zeit stehen geblieben. Schmale Gassen, Kopfsteinpflaster, dazu das Rauschen der Saale – genau der richtige Zwischenstopp, um festzustellen: Das Bier im Freibad später wird verdient sein.
Dann führte uns der Weg durchs Naturschutzgebiet Auwald bei Plötzgau – kühl, schattig, mit Vogelgezwitscher und der Ahnung von Mücken (die sich aber netterweise zurückhielten). Ein perfektes Kontrastprogramm zu den endlosen Feldern.
Gegen Mittag waren wir am Ziel: das Frei- und Erlebnisbad Saaleperle in Neuborna. Mission erfüllt! Ab ins Wasser, danach die Grundversorgung für den erschöpften Radfahrer: Bier, Pommes und Eis. Die nächsten Stunden verbrachten wir im Schatten eines Baumes – so faul, dass wir nur zur Abkühlung und zur Lebensmittelversorgung aufstanden.
Am Abend quälten wir uns noch ganze drei Kilometer bis nach Bernburg, was sich nach der Siesta erstaunlich wie eine Bergetappe anfühlte. Im SL´otel eingecheckt, dann gleich weiter ins Gasthaus Lindenhof. Regionale Küche, ehrliche Portionen, keine Experimente – genauso, wie man es nach einem Radtag braucht.
Zum Abschluss noch ein Spaziergang durch die Stadt zum Bernburger Schloss. Ein Bauwerk, das ab dem Mittelalter die Askanierherzöge beherbergte und heute mit Renaissancefassaden und Fachwerktürmchen den Spagat zwischen trutzig und verspielt hinbekommt. Gleich daneben der Eulenspiegelturm – angeblich hat Till Eulenspiegel hier als Turmwächter gearbeitet, bevor er wieder in die Welt verabschiedet wurde, weil er Feinde nur ankündigte als weit und breit keine zu sehen waren und umgekehrt. Von oben jedenfalls bot sich uns ein herrlicher Blick: Die Saale lag in der Abenddämmerung still und breit unter uns, während die Stadt langsam zur Ruhe kam. Genau der richtige Abschluss für einen Tag, der alles hatte: Kultur, Natur, Kalorien.
Unterkunft: SL`Hotel - Das Stadthotel




Tag 6– Von der Saale zur Elbe: Bernburg (Saale)→ Magdeburg
Datum: Donnerstag, 03.07.2025
Distanz: 50km | Höhenmeter
Der Tag begann mit einem Klassiker: Regen. Nicht dramatisch, eher so ein „Ich bin noch nicht ganz wach“-Niesel. Aber laut Wetterbericht sollte sich das wieder einkriegen – und wir uns auch. Also erstmal gemütlich frühstücken, Kaffee schlürfen, Müsli knuspern, und gegen neun Uhr schwang sich unser kleines Radlerteam in den Sattel und rollte aus Bernburg hinaus. Heute standen nur 50 km auf dem Tacho – quasi ein Spaziergang mit Pedalen.
Die Saale zeigte sich von ihrer charmanten Seite, und über Nienburg ging’s nach Calbe. Dort verabschiedeten wir uns von der Saale und nahmen einen kleinen Höhenrücken – nennen wir ihn liebevoll „die Magdeburger Alpen“ – Richtung Schönebeck. Durch Bad Salzelmen, einen Vorort von Schönebeck radelten wir weiter – bekannt für Solequellen und das älteste Soleheilbad Deutschlands. Ein Ort, an dem man sich theoretisch auch hätte einweichen lassen, können, aber wir hatten ja noch Pläne.
Und zack, da war sie: die Elbe. Deutschlands großer Strom, heute allerdings eher ein Rinnsal mit 0,5 m Pegel. Von der Elbbrücke aus sah sie aus wie ein Fluss auf Diät. Fotostopp? Natürlich. Instagram wartet.
Dann kam Randau. Und mit Randau kam das Schild. Ein Umleitungsschild. Ich hielt es für einen freundlichen Vorschlag, so à la „Wenn du magst, nimm doch diesen charmanten Umweg“. Leider war das Schild bitterernst. Denn kurz darauf landeten wir mitten in einer Hochwasserschutzbaustelle im Naturschutzgebiet Kreuzhorst. Anfangs war’s noch ganz nett – ein schmaler Trail, ein bisschen Abenteuer. Die nächste Absperrung war schon niedergetrampelt, also dachten wir: „Wird schon passen.“
Aber dann: Staub. Sand. Baustellenromantik. Nach 50 Metern war Schluss mit lustig – und mit Radfahren. In der Ferne rollte ein Sattelschlepper auf uns zu, eingehüllt in eine Staubwolke, als käme Mad Max persönlich. Zeit für die Kehrtwende, sonst wären wir als Sandmännchen in die Abendnachrichten gekommen.
Dank Isabellas Spürsinn fanden wir einen alternativen Trail – klein, fein und staubfrei. Unsere digitalen Karten nickten zustimmend, und wir entkamen dem Schlamassel schneller als gedacht. Danach radelten wir entspannt durch das Naturschutzgebiet, als wäre nie etwas gewesen.
Nach zwei Kilometern stießen wir auf die eigentliche Umleitung – diesmal ganz ohne Drama. Bald darauf überquerten wir die Zollbrücke, ein neobarockes Schmuckstück aus Ziegel und Sandstein, und rollten in die Altstadt von Magdeburg ein.
An der „Grünen Zitadelle“ von Hundertwasser gönnten wir uns den verdienten Belohnungsdrink – diesmal sogar mit Mittagessen. Danach ging’s zum Hotel: IBIS Styles Magdeburg. Radfahrerfreundlich bis ins Detail, von der Garage bis zur Zimmerdeko. Und wer stand da beim Einchecken? Die beiden E-Bike-Damen vom Vortag. Zufälle gibt’s.
Nach dem Einchecken wollten wir Magdeburg erkunden. Wir kamen bis zum „Kloster unserer lieben Frau“ – und dann kam das Café. Eiskaffee war Pflicht. Das Kloster selbst? Ein Kunstmuseum mit Geschichte aus dem 11. Jahrhundert. Danach nochmal an der Zitadelle vorbei und zum Dom. Der Dom, der Otto den Großen beherbergt – leider verschlossen. Otto war wohl nicht in Empfangslaune.
Zurück ins Hotel, duschen, kurz verschnaufen – und ab zum Abendessen. Auf dem Weg machte Isabellas Sandale schlapp. Die hatte schon die Radtour nach Santiago überlebt, aber heute war Schluss. Sport Scheck sprang ein, neue Sandalen wurden besorgt die alten überließen wir gleich dem Geschäft, und weiter ging’s zum Vietnamesen. Das Essen? Großartig.
Zum Abschluss des Tages: die Elbtreppen. Ein Absacker auf der Terrasse mit Blick auf die Elbe und die Hubbrücke. Der perfekte Ort, um den Tag Revue passieren zu lassen – mit Sand in den Schuhen, aber einem Lächeln im Gesicht.
Unterkunft: ibis Styles Magdeburg




Tag7– An der Elbe entlang: Magdeburg→ Havelberg
Datum: Freitag, 04.07.2025
Distanz: 108km | Höhenmeter: ca. 255 hm
Kaum wach, schon eine neue E-Mail vom Altstadtcafé in Havelberg. Die Wirtin hatte uns gestern leider verpasst und bat darum, bei ihrer Mitarbeiterin zu zahlen. Klingt harmlos – wäre da nicht mein kleiner Buchungs-Fauxpas: Ich hatte glatt das falsche Datum erwischt. Bravo!
Aber keine Panik – zwei E-Mails später war das Chaos geglättet und wir hatten wieder ein Zimmer. Die Pension des Altstadtcafés nahm uns erneut auf. Havelberg, du bist gut zu uns.
Heute ging’s etwas früher los – 100 Kilometer standen auf dem Plan. Nach dem Auschecken noch ein kurzes „Macht’s gut“ an die beiden Damen aus NRW, und schon rollten wir aus Magdeburg hinaus.
Nach 17 Kilometern erreichten wir Hohenwarthe und machten Halt an der Templerkapelle. Und siehe da – wieder Jakobsweg! Man könnte meinen, der heilige Jakobus flüstert uns zu: „Na los, zurück nach Santiago – war doch ganz nett letztes Jahr, oder?“
Hier überquert der Mittellandkanal die Elbe – ein technisches Schauspiel, wenn denn ein Schiff da wäre. Leider Fehlanzeige. Die Schleusen standen einsam da, bereit für den nächsten Wasser-Giganten.
Weiter am Kanal entlang, bis uns eine Umleitung erwischte. Diesmal völlig unnötig – aber gut, 3 Extra-Kilometer sind ja fast schon Training.
Nach dieser kleinen Ehrenrunde landeten wir in Burg. Türme, wohin das Auge reicht – fast wie ein mittelalterliches Manhattan.
Durch Felder und Wiesen ging’s weiter nach Jerichow. Natürlich mussten wir zum Kloster – gegründet 1144 vom Prämonstratenserorden, ist es eines der ältesten Backsteinbauwerke nördlich der Alpen. Die Stiftskirche St. Marien und St. Nikolaus wurde zwischen 1149 und 1172 errichtet und gilt als Pionierwerk der norddeutschen Backsteinromanik. Die 59 Meter hohen Westtürme kamen erst im 13. Jahrhundert dazu und zeigen bereits gotische Formen. Das Kloster war nicht nur ein geistliches Zentrum, sondern auch ein strategischer Missionsstützpunkt zur Christianisierung der Slawen. Straße der Romanik, Jakobsweg, Elberadweg – das Kloster ist quasi das Kreuzfahrtschiff unter den Sehenswürdigkeiten.
In Sandau dann ein Hoffnungsschimmer doch noch eine Kirche von innen zu sehen. Die Kirche sah einladend aus. Als ich gerade zur Tür wollte, kam eine Dame heraus – Schlüssel in der Hand, Abschließen im Sinn. Doch kaum sah sie uns, blühte sie auf wie ein Frühlingsbeet und lud uns spontan zur Besichtigung ein. Sie erzählte begeistert von der aufwendigen Renovierung des Turms, der im Zweiten Weltkrieg fast komplett zerstört wurde. Jetzt gibt’s dort sogar einen Eventraum – Hochzeiten mit Kirchturmflair!
Eine kleine Spende wanderte in den Opferstock – für die nächste Runde Restaurierung. Eine wirklich herzliche Begegnung.
Ein paar Kilometer später: Havelberg. Die alte Hansestadt liegt malerisch auf einer Insel in der Havel und wurde bereits 948 als Bistum gegründet – eines der ältesten östlich der Elbe. Die Stadt war einst ein bedeutender Handelsplatz und Teil der Hanse. Heute ist sie ein staatlich anerkannter Erholungsort mit viel Charme und Geschichte.
Weithin sichtbar thront der Havelberger Dom über der Stadt. Ursprünglich romanisch, wurde er nach einem Brand im 13. Jahrhundert gotisch umgestaltet. Besonders beeindruckend ist der wuchtige Westbau – ein Paradebeispiel des sogenannten „Sächsischen Westriegels“. Im Inneren erwarten einen kunstvolle Sandsteinreliefs, gotische Glasfenster und ein Chorgestühl aus der Zeit um 1300.
Auf dem Domplatz stehen zwei imposante Herren: Zar Peter I. von Russland und König Friedrich Wilhelm I. von Preußen. Die Figuren erinnern an das diplomatische Treffen im Jahr 1716, bei dem das legendäre Bernsteinzimmer symbolisch seinen Besitzer wechselte. Der Zar erhielt das kunstvolle Zimmer, der König dafür eine Truppe „Langer Kerls“. Die Figuren wurden 2015 vom Bildhauer Anton Schumann geschaffen – und enthalten sogar kleine Postkarten, die man gegen ein 2-Euro-Stück herausziehen kann. Geschichte zum Mitnehmen!
Auf Empfehlung der Wirtin landeten wir im Lokal „Akropolis“. Der Wirt begrüßte uns mit einem Ouzo, servierte nach dem Essen noch einen zur Verdauung, einen für die Empfehlung – und einen, weil wir aus Bayern mit dem Rad angereist waren. Dazu drei Weißbier. Man könnte sagen: ein kontrollierter Alkoholunfall.
Also: Beine vertreten. Über den Stadtgraben, den Prälatenweg hinauf zum Dom. Der Blick über Havelberg im Sonnenuntergang? Postkartenwürdig. Und die Bronzefiguren? Ein würdiger Abschluss eines Tages voller Geschichte, Begegnungen und Überraschungen.
Unterkunft: Altstadtcafe und Pension




Tag8– Entlang der ehemaligen Deutsch-Deutschen Grenze: Havelberg - Hitzacker
Datum: Samstag, 05.07.2025
Distanz: 104km | Höhenmeter: ca. 220 hm
Frisch gestärkt ging’s wieder früh los. Wir verließen Havelberg über die Havel – und radelten direkt hinein ins grüne Herz des UNESCO-Biosphärenreservats Flusslandschaft Elbe. Dieses Schutzgebiet erstreckt sich über fünf Bundesländer und ist mit rund 282.000 Hektar das größte Binnenreservat Deutschlands. Zwischen Havel und Elbe radelt man hier durch Auenwälder, Feuchtwiesen und Flutrinnen – ein Naturtraum, der sich wie ein Gedicht fährt.
Von Naturpark zu Naturpark rollten wir nach Wittenberge, einer Stadt mit industrieller Vergangenheit und hübscher Altstadt direkt an der Elbe. Unser Plan: die Elbe überqueren. Die Realität: Brücke gesperrt – für Radfahrer offenbar ein Mysterium. Also Plan B: rein in die Stadt, beim Netto einen Snack geschnappt und dann ab ins Abenteuer „B189-Brücke mit Baustellen-Upgrade“. Die Großbaustelle machte das Ganze zu einem Verkehrskurs für Fortgeschrittene.
Nach dem Brücken-Abenteuer wurde es wieder still. Wir tauchten ein ins Naturschutzgebiet Aland-Elbe-Niederung, ein 6.000 Hektar großes Rückzugsgebiet für seltene Vogelarten und Auwaldpflanzen. Zwischen Altwassern, Flutrinnen und feuchten Senken liegt hier ein Stück Flusslandschaft, das fast vergessene Wildheit atmet. Bei der Ortschaft Braves Land – ja, der Name ist Programm – machten wir Mittagspause mit Blick auf sattes Grün und stille Wasser.
Weiter ging’s durch brettlebene Landschaft bis zum Gartower See, einem idyllischen Gewässer im Biosphärenreservat Elbtalaue. Baden, Bootfahren, Segeln – alles möglich, aber wir blieben beim Radeln. Dann weiter nach Gorleben, bekannt durch das Zwischenlager für radioaktive Abfälle – aber auch durch seine Lage mitten im Grünen. Die Elbe ist hier ganz nah, und die Natur zeigt sich von ihrer friedlichen Seite.
Durch ein ausgedehntes Waldgebiet erreichten wir den Wentorfer Berg. Mit seinen stolzen 41 Metern ist er die höchste Erhebung weit und breit – quasi der Mount Everest des Wendlands. Danach ging’s bergab nach Gusborn und Dannenberg, zwei Orte mit ländlichem Charme und viel Geschichte.
Ja was lag den da am Weg: Ein Feld mit ein paar hundert Kreuzen. Das Musste ich mir genauer ansehen. Hier hatte sich doch glatt einer einen makabren Scherz erlaubt und einen Ehrenfriedhof für Bundestagsabgeordnete nach dem Supergau errichtet.
Ab Gusborn tauchten sie auf: die Grenzsteine und Wachtürme der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Ein stilles Mahnmal der Teilung. An einem Grenzstein trafen wir einen alten Bauern, dessen Hof einst direkt hinter der DDR-Grenze lag. Er erzählte von den Unterschieden zwischen Ost und West – und davon, dass es „halt anders“ war. Zufrieden? Ja. Aber auch betroffen: Denn kurz vor der Wende begann das Regime, Höfe und Dörfer entlang der Grenze zu schleifen. Auch sein Hof stand auf der Liste – doch dann kam die Wende. Sein verschmitztes Lächeln sprach Bände.
Dunkle Wolken trieben uns weiter – wir wollten Hitzacker noch trocken erreichen. Der Bauer meinte nur: „Keine Sorge, bei uns regnet’s nicht.“ Und tatsächlich: Die Maisfelder sahen aus wie mit Wüstenpflanzen bestückt. Ein paar Kilometer später erreichten wir trockenen Rades unser Ziel.
Hitzacker ist ein staatlich anerkannter Kneippkurort mit rund 5.000 Einwohnern. Die Stadtinsel im Mündungsgebiet der Jeetzel in die Elbe ist ein Fachwerkidyll mit bronzezeitlichem Freilichtmuseum, Weinberg und Aussichtspunkt. Schon Heinrich der Löwe soll hier gewirkt haben – und Claus von Amsberg, Vater des niederländischen Königs, wurde hier geboren.
In einem Lokal trafen wir ein Paar aus Ulm, das eine Reise mit den berühmten Ulmer Schachteln plante – traditionellen Holzbooten, mit denen früher Waren auf der Donau transportiert wurden. Ihr Ziel: die Elbe bei Magdeburg. Doch der Pegel war zu niedrig – selbst für die Schachteln. Also: umplanen.
Nach dem Belohnungsgetränk verpassten wir die Abzweigung zum Hotel – und mussten den Langen Berg erklimmen. Ein steiler Schlussakkord für unsere Tagesetappe. Dafür erwartete uns im Parkhotel mit üppiger 80er-Jahre-Einrichtung ein Abendessen – und Geschmack, der bis heute überzeugt.
Unterkunft: Parkhotel Hitzacker


Tag9– Auf zur Reeperbahn: Hitzacker - Hamburg
Datum: Sonntag, 06.07.2025
Distanz: 100km | Höhenmeter: ca. 120 hm
Früh aufstehen war Pflicht – das Fischbrötchen an den Landungsbrücken wartete schließlich nicht auf Langschläfer. Also rauf aufs Rad, rein in die Pedale und ab auf den Elberadweg. Der Kniepenberg mit seinem Aussichtsturm versprach einen ersten Höhepunkt, im wahrsten Sinne. Leider war der Turm mit Brettern verrammelt, als hätte jemand Angst, wir könnten zu viel sehen. Aber meine Frau kennt keine Gnade, wenn ein Aussichtspunkt ruft. Sie kletterte entschlossen hinauf, während ich unten die Stellung hielt und versuchte, möglichst interessiert auszusehen.
Danach trafen wir einen jungen Radler, der den „Eisernen Vorhang“-Radweg bis zur Tschechoslowakei fahren wollte – ein Vorhaben, das irgendwo zwischen sportlich und geschichtsbewusst rangierte. Wir wünschten ihm Glück und rollten weiter, immer entlang der Elbe, die sich mal breit und majestätisch, mal verschlungen und launisch zeigte.
Bleckede empfing uns mit einem Hauch von Mittelalter und einer Prise Fachwerkromantik. Die kleine Stadt hat sich ihren Charme bewahrt: ein Schloss, das sich nicht aufdrängt, aber doch stolz am Ufer steht, und ein historischer Stadtkern, der zum Schlendern einlädt – wenn man nicht gerade auf dem Rad sitzt. Hinter Bleckede wurde es ländlich und still. Garze und Karze klangen wie aus einem Gedichtband für norddeutsche Ortsnamen, und die Landschaft war geprägt von Wiesen, kleinen Wäldern und dem Gefühl, dass hier die Welt noch in Ordnung ist.
In Hohnstorf bot sich ein schöner Blick hinüber nach Lauenburg, wo die Elbe sich wieder von ihrer fotogenen Seite zeigte. Bei Geesthacht überquerten wir den Fluss – ein kleiner Abschied, denn ab hier war Hamburg das Ziel.
Das Ortsschild der Millionenstadt tauchte auf wie ein Versprechen, aber die letzten 30 Kilometer durch die Vororte zogen sich wie Kaugummi im Gegenwind.
Schließlich erreichten wir das Millerntor in St. Pauli, quartierten uns im Hotel ein und machten uns direkt auf den Weg zu den Landungsbrücken. Das Fischbrötchen war ein Gedicht, die zwei Astra Bierchen eine Ode an die Belohnungskultur. Perfekt.
Zurück im Hotel kurz die müden Knochen sortiert, frisch gemacht und dann raus in den Abend. Es gab nur eine Adresse: das Zwick. Rockkneipe, Burger, Musik – alles wie bestellt. Der Burger war saftig, die Musik laut und ehrlich, das Ambiente angenehm unprätentiös.
Da Regen drohte, wollten wir hoch zur Clouds-Bar in den Tanzenden Türmen. Leider geschlossen wegen Renovierung. Also Plan C: runter zur Elbe, rauf ins Riverside Hotel, rein in die 20up-Bar. Beste Aussicht, teuerste Cocktails – aber das gönnt man sich ja. So der Plan. Der Türsteher sah das anders. Unsere sportlich-eleganten schwarzen Hosen und die leicht patinierten Schuhe überzeugten ihn nicht. Wir überzeugten uns selbst: Soll er seine Cocktails doch allein trinken.
Also weiter zur Reeperbahn. Dort lasen wir auf dem Schild vor „Das Herz von St. Pauli“: Happy Hour für Jumbo-Cocktails von 21 bis 22 Uhr für 11 Euro. 0,4 Liter Geschmack und Wirkung, direkt an der Reeperbahn, mit Blick auf flanierende Touristen und allerlei nächtliche Gestalten. Super.
Etwas beschwingt ging’s zurück Richtung Hotel. So der Plan. Aber im Nachbarlokal spielte eine Liveband. Gute Musik, kaltes Bier – wer kann da widerstehen? Noch ein Lied, noch ein Schluck, dann aber wirklich: Schluss für heute. Morgen wartet das nächste Kapitel.
Unterkunft: Premier Inn Hamburg - St. Pauli Hotel




Tag10– Von Hansestadt zu Hansestadt Hamburg- Lübeck
Datum: Montag, 07.07.2025
Distanz: 70km | Höhenmeter: ca. 300 hm
Nach dem Frühstück hieß es: Aufsatteln und raus aus Hamburg. Die Stadt verabschiedete uns mit einer Ehrenrunde durch Ampelwälder und Wohngebiete, doch immerhin gönnte sie uns ein paar grüne Atempausen in Form von Parks – kleine Oasen im urbanen Ausrollfeld. Schleswig-Holstein empfing uns dann mit sanften Hügeln und einer Landschaft, die sich bemühte, nicht völlig in Gleichförmigkeit zu versinken.
Die Abfahrt zum Lütjensee war immerhin so steil, dass man kurz das Gefühl hatte, man sei auf einer Etappe der Tour de France – nur dass unten keine jubelnden Fans, sondern eine etwas blutleere Ferienhaussiedlung wartete, die aussah, als hätte jemand ein Architektenhandbuch für „norddeutsche Zweckbauten“ zu wörtlich genommen.
Schönberg hingegen machte seinem Namen alle Ehre – zumindest für Menschen mit Hang zu gepflegtem Rasen, großzügigen Einfahrten und Autos, die mehr Chrom als Charakter haben. Die Villen dort wirkten, als hätte man sie direkt aus einem Immobilienmagazin für „diskreten Luxus“ ausgeschnitten. Nach einem kurzen Intermezzo in Sandesneben und Labenz – charmante Namen, die klingen wie Nebenfiguren in einem Fontane-Roman – ging es hinauf zur Christianshöhe. Kein Kloster, kein Aussichtsturm, nur ein weiterer Hügel mit einem Namen, der mehr versprach, als er hielt.
Dann endlich: die Trave. Und mit ihr das Holstentor – Lübecks berühmtestes Fotomotiv und einst wehrhafte Bastion gegen ungebetene Gäste. Heute begrüßt es Radreisende mit zwei wuchtigen Türmen und einem Hauch von Backsteinromantik. Dahinter öffnet sich die Altstadtinsel, ein mittelalterliches Juwel, das von der UNESCO nicht ohne Grund zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Über 1.800 denkmalgeschützte Gebäude, verwinkelte Gänge und stolze Kaufmannshäuser erzählen von Lübecks goldenen Hansezeiten, als hier nicht nur Marzipan, sondern auch Macht und Geld in großen Mengen flossen.
Wir ließen uns durch die Altstadt treiben – vorbei am Dom mit seinen wuchtigen Türmen und der stillen Würde eines Bauwerks, das schon so manche Belagerung überstanden hat. Die Mühlenbrücke bot einen schönen Blick auf die Trave, bevor wir uns zum Markt vorarbeiteten, wo das Lübecker Rathaus mit seiner filigranen Fassade und den gotischen Türmchen fast ein bisschen verspielt wirkt – als hätte ein Baumeister aus Versehen zu viel Fantasie gehabt.
Ein Pflichtbesuch führte uns natürlich zu Niederegger, dem Marzipan-Mekka der Stadt. Zwischen Mandelduft und Schaufensterkunstwerken fanden wir ein paar kleine Mitbringsel, die hoffentlich die Reise in der Radtasche überleben würden. Ein kurzer Blick in die Marienkirche – eine der sieben Türme, die Lübecks Silhouette prägen – und weiter zum Buddenbrookhaus, wo Thomas Manns Familiengeschichte in literarischem Backstein konserviert ist. Noch ein paar Schritte zum Heiligen-Geist-Hospital, das mit seinen gotischen Spitzbögen und den kleinen Stuben einen Blick in die mittelalterliche Sozialfürsorge erlaubt – und dabei schöner aussieht als manches heutige Hotel.
Apropos Hotel: Der Hunger trieb uns zurück Richtung Holstentor, wo das Restaurant Diavolo mit Pizza lockte, die so gut war, dass man kurz überlegte, ob man nicht einfach hierbleiben sollte. Danach nur noch: Hotel, Dusche, Bett. Der Stadtrundgang hatte uns geschafft – aber Lübeck? Die hat uns mit offenen Toren empfangen. Und mit einer Geschichte, die man nicht nur sieht, sondern fast spürt.
Unterkunft: Intercity Hotel Lübeck




Tag11– An die Ostsee zum Strandkorb am Timmendorfer Strand
Datum: Dienstag, 08.07.2025
Distanz: 35km | Höhenmeter: ca. 165 hm
Bei frischer Brise und leichtem Frösteln rollten wir an der Trave entlang aus Lübeck hinaus – nicht gehetzt, eher mit dem Tempo eines sonntäglichen Spaziergängers, der zufällig ein Fahrrad dabei hat. Der Plan war überschaubar: bis Timmendorfer Strand radeln und dort den Schlussakkord setzen. Die Gründe dafür waren ebenso handfest wie wetterfühlig. Erstens hatte uns die Sommerhitze zwischen Halle und Magdeburg so weichgekocht, dass wir die Etappe in zwei Tage aufteilen mussten – eine Art thermisches Gnadenbrot. Zweitens zeigte sich die Ostseeküste wettertechnisch von ihrer launischen Seite: grau, kühl, mit gelegentlichem Niesel, als hätte sie sich mit Nordengland abgesprochen.
Der Radweg führte uns entlang der „Alten Salzstraße“, einem historischen Handelsweg, auf dem einst das weiße Gold von Lüneburg nach Travemünde wanderte – heute radeln hier eher Menschen mit Funktionskleidung und GPS. Bad Schwartau passierten wir ohne Zwischenstopp, obwohl die Stadt nicht nur für Marmelade, sondern auch für ihre Solequellen bekannt ist. Danach ging’s durch ein ausgedehntes Waldgebiet, das sich so still und moosig gab, als hätte es gerade ein Achtsamkeitsseminar hinter sich. Kurz vor Pöppendorf stießen wir auf den Pöppendorfer Ringwall – ein slawisches Relikt aus dem 8. Jahrhundert, das sich heute als grasbewachsene Erhebung mit Infotafel tarnt. Die Wagrier, ein westslawischer Stamm, hatten hier einst ihre Burg errichtet – strategisch klug auf einer Anhöhe, umgeben von feuchter Niederung. Heute ist davon wenig zu sehen außer Buschwerk und der Ahnung, dass hier mal Geschichte war. Auch die Rennradlerinnen, die wir trafen, wirkten eher enttäuscht – als hätte man ihnen ein Panorama versprochen und stattdessen einen botanischen Blindgänger geliefert.
Weiter ging’s nach Travemünde, wo die Trave sich in die Ostsee ergießt und die Fähren so gemächlich tuckern, als hätten sie alle Zeit der Welt. Ab hier wurde die Strecke landschaftlich ambitionierter. Die Hermannshöhe, benannt nach dem Ehrenbürger Hermann Fehling, bot einen Ausblick, der selbst wettergeplagte Radler kurz verstummen ließ. Das Café dort ist ein Klassiker – mit Selbstbedienung und Meerblick, der sich nicht kaufen lässt. Danach folgte das Brodtener Steilufer, ein geologisches Schauspiel mit bis zu 20 Meter hohen Kliffs, die sich jedes Jahr ein Stück weiter ins Landesinnere verabschieden. Die Ostsee nagt hier unermüdlich, und wer genau hinschaut, sieht die Geschichte in Form von Findlingen, Uferschwalben und gelegentlich abrutschenden Ferienhäusern.
Niendorf und Timmendorfer Strand begrüßten uns mit der typischen Bäderarchitektur: weiß, gepflegt, touristisch durchdesignt. Man hat das Gefühl, jeder Balkon sei für Instagram optimiert. Unser Hotel Flamingo trieb das Konzept auf die Spitze – Flamingos überall, als hätte man versehentlich in einem tropischen Themenpark eingecheckt. Der Flur im ersten Stock wurde gerade in einem Rosa gestrichen, das selbst Barbie erröten ließe, und die Beleuchtung tat ihr Übriges, um das Ganze in ein surreal leuchtendes Erlebnis zu verwandeln. Im Zimmer dann ein Fernseher, der sich motorisch von der Decke senkte – ein technisches Kabinettstückchen, das uns kurz glauben ließ, wir seien in einem Designhotel in Dubai gelandet.
Mit den geliehenen Strandhandtüchern zogen wir los zum Timmendorfer Strand, der sich in seiner Weitläufigkeit nicht lumpen ließ. Ein Strandkorb war Pflicht, auch wenn das Wetter eher nach Tee als nach Sonnencreme schrie. Das Bad in der 17°C „warmen“ Ostsee war erfrischend bis grenzwertig, aber immerhin authentisch norddeutsch. Der Kiosk in der Nähe versorgte uns mit Belohnungsbier und salzigen Snacks – eine Art kulinarischer Schulterklopfer für die zurückgelegten Kilometer.
Am Abend dann ein Biergarten mit Gaslaternen, die uns wärmten und in wohliges Licht tauchten, während das Essen den Abschluss unserer Reise markierte. Morgen geht’s mit der Bahn zurück – hoffentlich ohne rosa Beleuchtung, aber mit vielen Geschichten im Gepäck.
Unterkunft: nordicwave Hotel - The Flamingo






Tag12– Teil 1 Heimreise mit der Bahn – Hannover ungeplant
Datum: Mittwoch, 08.07.2025
Was soll man sagen – das Frühstück im Hotel Flamingo war ein kulinarisches Statement in Pink. So wie das ganze Haus: extravagant, ein bisschen tropisch, und definitiv nichts für Freunde von Beige. Nach dem letzten Bissen und einem Kaffee, der vermutlich Flamingo-farben serviert worden wäre, wenn man ihn lange genug stehengelassen hätte, ging’s zum Bahnhof. Die Verbindung war sorgfältig gewählt, die Hoffnung groß – und die Realität, nun ja, bahntypisch.
Der erste Zug nach Lübeck war voll wie ein Freibad am Hitzetag, aber immerhin fuhr er. Umsteigen in Lüneburg, weiter nach Uelzen – und dort ein kurzer Moment der architektonischen Erleuchtung: Der Bahnhof, ein Werk von Friedensreich Hundertwasser, sieht aus, als hätte Gaudí einen Farbkasten verschluckt und dann beschlossen, Bahnhöfe müssten fröhlicher sein. Bunte Säulen, goldene Kugeln, keine gerade Linie weit und breit – ein Ort, der selbst Verspätungen mit einem Augenzwinkern erträgt.
Doch dann kam Hannover. Oder besser gesagt: das große Warten. Erst Weichenstörung, dann Zugausfälle, dann ein Bahnsteig, der sich füllte wie ein Konzertsaal vor dem Hauptakt. Der Zugang wurde gesperrt, die Toiletten zur verbotenen Zone erklärt – ein Moment, in dem man sich über jede vorherige Blasenentscheidung freut. Nach drei Stunden rollte ein Zug ein, der uns gnädig aufnahm, nur um kurz darauf in Hannover Messe wieder stehen zu bleiben. Nicht am Bahnsteig, versteht sich – das wäre zu einfach gewesen. Niemand wusste, wie lange. Niemand durfte raus. Dann ein medizinischer Notfall, Rückwärtsfahrt zum Bahnsteig, Durchsage: „Bitte mit der S-Bahn zurück zum Hauptbahnhof und dort selbst schauen, wie Sie weiterkommen.“ Die S-Bahn war überfüllt, jemand zog die Notbremse, und das Ganze wurde zur unfreiwilligen Slow-Motion-Studie urbaner Mobilität.
Der Plan, bis Erfurt zu kommen, wurde still und leise beerdigt. Stattdessen: Hotel in Bahnhofsnähe, Intercity-Komfort, und ein Spaziergang durch Hannovers Altstadt. Die Fachwerkhäuser rund um die Marktkirche und das Alte Rathaus geben einen charmanten Eindruck davon, wie die Stadt einmal ausgesehen hat – bevor der Krieg und die Nachkriegsarchitektur ihre eigenen Vorstellungen durchsetzten. Das Leineschloss, Sitz des niedersächsischen Landtags, steht wie ein preußischer Beamter am Fluss: korrekt, repräsentativ, aber nicht unbedingt ein Stimmungsmacher.
Das Abendessen in der Innenstadt war dann der versöhnliche Schlussakkord eines Tages, der sich wie eine Mischung aus Bahnsatire und Improvisationstheater anfühlte. Und das Hotelbett? Das war plötzlich mehr als nur ein Ort zum Schlafen – es war ein Denkmal für Durchhaltevermögen. Morgen geht’s heim. Hoffentlich ohne Weichenstörungen, aber gern mit Zügen die nach Plan fahren.
Unterkunft: Intercity Hotel Hannover

Tag13– Teil 2 Heimreise mit der Bahn – Radausklang
Datum: Donnerstag, 09.07.2025
Der letzte Reisetag – und siehe da, die Bahn zeigte sich von ihrer zivilisierten Seite. Keine Verspätung, kein Notfall, kein spontaner Fahrplan-Tango. Von Hannover ging’s nach Göttingen, dann weiter nach Würzburg, wo uns die Sonne und ein Biergarten am Bahnrestaurant zu einem würdigen Zwischenstopp verführten. Kaffee für die Vernunft, bayerisches Bier für die Seele – eine Kombination, die selbst die Reiselust kurz in den Lehnstuhl schickte.
Nächster Halt: Nürnberg. Wieder ein geplanter Kaffeeaufenthalt, diesmal mit Blick auf die Altstadt, die sich zwischen Fachwerk und gotischen Türmen sonnte. Dann weiter nach Regensburg, wo die Donau in der Ferne glitzerte und die Steinerne Brücke vermutlich gerade Touristen mit Selfie-Sticks beschäftigte. Wieder umsteigen, weiter nach Straubing – die Gäubodenstadt mit ihrem spätgotischen Stadtturm und dem leisen Versprechen von Heimatnähe. Ein letzter Sprint zum Bummelzug nach Bogen, der seinem Namen alle Ehre machte, aber uns dennoch pünktlich um sechs Uhr ausspuckte.
Zwölf Stunden Heimfahrt lagen hinter uns, aber die letzten zwölf Kilometer mit dem Rad fühlten sich fast meditativ an. Ein bisschen bergauf, klar, aber nach so viel Umsteigen, Warten und Gleiswechsel war das fast schon Wellness. Die Luft war mild, das Licht weich, und der Gedanke ans eigene Bett wirkte wie ein Rückenwind. Ein schöner Ausklang – nicht spektakulär, aber genau richtig.
Zusammenfassung
Diese Radreise hatte wieder ihren ganz eigenen Charakter. Sie führte uns quer durch Deutschland – von Bayern über Thüringen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen bis hinauf nach Hamburg und Schleswig-Holstein. Dabei begegneten uns charmante Kleinstädte wie Weiden, Hof, Bernburg, Havelberg und Hitzacker, die mit ihren historischen Fassaden und stillen Gassen oft mehr erzählten als so mancher Reiseführer. Die größeren Städte – Plauen, Gera, Halle, Magdeburg, Hamburg, Lübeck und Hannover – boten das volle Spektrum urbaner Vielfalt: mal rau, mal lebendig, mal überraschend.
Unsere Route folgte den Flüssen, die das Land durchziehen wie Kapitel einer langen Geschichte: der Schwarzach, der Naab, der Saale (gleich zweimal), der Elster, der Elbe und schließlich der Trave, die uns bis zur Ostsee begleitete. Unterwegs ergaben sich viele Gespräche – mit Einheimischen, Mitreisenden, Zufallsbekanntschaften. Es waren Begegnungen, die den Blick weiteten und die Reise menschlich machten.
Die Landschaften zeigten sich von ihrer schönsten Seite – aber auch von ihrer verletzlichen. Die Spuren des Klimawandels waren sichtbar: ausgetrocknete Böden, Waldschäden, Wetterextreme. Es war eine Reise, die nicht nur durch Regionen führte, sondern auch durch Realitäten.
Kurz gesagt: wieder eine besondere Tour. Nicht spektakulär im Einzelnen, aber in der Summe eindrucksvoll. Und wie so oft beim Radfahren: das Tempo war genau richtig, um nichts zu übersehen.


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